Meier, Albert: Klassik – Romantik

Meier, Albert: Klassik – Romantik

Mitarb.: Düsterhöft, Stephanie
Originalausgabe. 458 S. 41 Abb.
ISBN: 978-3-15-017674-0
9,80 €

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Unter Anführung zahlreicher originaler Textbeispiele führt Albert Meier in ein zentrales Gebiet deutscher Geistesgeschichte ein: 'Klassik' und 'Romantik' – zwei einander ergänzende Stilvarianten der deutschen Poesie um 1800. Er erläutert die Grundlagen der klassisch-romantischen Kunstphilosophie, stellt ihre Programmschriften vor und behandelt intensiv die Texte selbst. In einem abschließenden Kapitel untersucht er die "klassisch-romantischen Problemfälle" Jean Paul, Kleist und Hölderlin.
Klassik und Romantik als 'Epochen'-Problem

Ursprung der klassisch-romantischen Epoche

'Klassisch' und 'romantisch' als Stilgegensatz
Der klassische Stil
Der romantische Stil

Klassisch-romantische Programmschriften
Johann Wolfgang Goethe
Friedrich Schiller
Friedrich Schlegel
Wilhelm Heinrich Wackenroder / Ludwig Tieck
Friedrich von Hardenberg (Novalis)
August Wilhelm Schlegel
Wilhelm von Humboldt

Grundlagen der klassisch-romantischen Kunstphilosophie
Johann Joachim Winckelmann
Gotthold Ephraim Lessing
Karl Philipp Moritz / Immanuel Kant

Romantische Ironie

Mythologie / Mythos

Klassisch-romantische Dichtungen

LYRIK
Friedrich Schiller, Nänie
Novalis, Hymnen an die Nacht
Achim von Arnim / Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn
Balladen / Romanzen
Sonette
Elegien

DRAMA
Johann Wolfgang Goethe, Iphigenie auf Tauris
Johann Wolfgang Goethe, Torquato Tasso
Johann Wolfgang Goethe, Der Groß-Cophta
Ludwig Tieck, Der gestiefelte Kater
Ludwig Tieck, Leben und Tod der heiligen Genoveva
Friedrich Schiller, Die Jungfrau von Orleans
August Wilhelm Schlegel, Ion
Friedrich Schiller, Die Braut von Messina
Zacharias Werner, Das Kreuz an der Ostsee
Joseph von Eichendorff, Die Freier

ERZÄHLPROSA
Novellen/Märchen
Johann Wolfgang Goethe, Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
Ludwig Tieck, Der blonde Eckbert
Novalis, 'Klingsohrs Märchen'
Friedrich de la Motte Fouqué, Undine
Achim von Arnim, Isabella von Ägypten
Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte
E. T. A. Hoffmann, Der goldene Topf
Clemens Brentano, Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl
Joseph von Eichendorff, Das Marmorbild
Johann Wolfgang Goethe, Novelle

ROMANE
Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre
Ludwig Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen
Friedrich Schlegel, Lucinde
Novalis, Heinrich von Ofterdingen
Clemens Brentano, Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter
Nachtwachen. Von Bonaventura
Joseph von Eichendorff, Ahnung und Gegenwart

Klassisch-romantische Problemfälle
Kleist, Jean Paul, Hölderlin


Verzeichnis der Abbildungen
Literaturverzeichnis
Personenregister
Werkregister
Zum Autor
Klassik und Romantik als 'Epochen'-Problem

Die Jungfrau von Orleans des Klassikers Schiller trägt die Gattungsbezeichnung 'romantische Tragödie', während der Romantiker August Wilhelm Schlegel seinen Ion als klassizistisches Trauerspiel verstanden hat. An solchen Paradoxien wird deutlich, wie heikel es wäre, 'Klassik' und 'Romantik' gegeneinander ausspielen zu wollen. Um zwei 'Epochen' kann es sich nicht handeln, weil jede Epoche ihrer Begriffslogik nach ausschließt, dass es zur selben Zeit noch eine andere gibt – insofern sind 'Klassik' und 'Romantik' besser in ihrem Miteinander als in ihrer Konkurrenz zu begreifen: als komplementäre Stilvarianten der deutschsprachigen Poesie um 1800, die unterschiedlich auf die gemeinsame Diagnose reagieren, der Moderne sei die Natürlichkeit des glücklicheren Altertums abhanden- gekommen. Das, was aus der Wirklichkeit verschwunden ist, versucht das klassische Konzept in die Werke der schönen Kunst zu retten, während der romantische Ansatz sich solchen Ersatzlösungen verweigert:

Das Classische lebt in dem Lichte der Anschauung, knüpft das Individuum an die Gattung, die Gattung an das Universum an, sucht das Absolute in der Totalität der Welt, und ebnet den Widerstreit, in dem das Einzelne mit ihm steht, in der Idee des Schicksals durch allgemeines Gleichgewicht.
Das Romantische verweilt vorzugsweise im Helldunkel des Gefühls, trennt das Individuum von der Gattung, die Gattung vom Universum, ringt nach dem Absoluten in der Tiefe des Ichs, und kennt für den Widerstreit, in dem das Einzelne mit ihm steht, keinen Ausweg, als entweder verzweiflungsvolles Aufgeben aller Ausgleichung, oder vollkommene Lösung, in der Idee der Gnade und Versöhnung durch Wunder.


Klassik und Romantik benennen Stilvarianten von Dichtung in einem Zeitraum, der außerhalb Deutschlands ohnehin nur den Sammelnamen 'Romantik' trägt und die doctrine classique, das im 17. und frühen 18. Jahrhundert europaweit gültige Regelsystem der Literatur, verabschiedet. Auf einer höheren Abstraktionsebene mag diese weitherzig verstandene 'Romantik' einen Abschnitt der Makro-Epoche 'Moderne' bilden, an deren Beginn Dante Alighieris Divina Commedia (um 1307–21) steht. Es geht jedoch auch kleiner. In ihrer ambivalenten Ausprägung als 'klassisch' und 'romantisch' dementiert die Poesie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert das auf Mimesis (Nachahmung) abgestellte Literaturverständnis der Aufklärer von Gottsched über Lessing bis Iffland und Kotzebue: "Der romantische Protest gegen die Aufklärung klagt einen Verlust ein: mit der Leugnung jedes grundsätzlich Anderen ihrer selbst schneidet die aufgeklärte Vernunft der Kunst den Lebensnerv ab." Demgegenüber steht das klassisch-romantische Schreiben um 1800 im Zeichen ästhetischer Autonomie und gewinnt seine – künstlerische wie gesellschaftliche – Bedeutung gerade als Einspruch gegen das Kopieren der Lebenswelt. In diesem Sinn ist es nach wie vor zweckmäßig, die 'klassischen' wie die 'romantischen' Werke als divergierende 'Teilmengen' einer Gesamtepoche 'Romantik' aufzufassen. Klassik und (Früh-)Romantik stellen sich als aufeinander bezogene Varianten einer Kunst dar, die ihren Sinn zuallererst darin sieht, sich dem Alltagstrott zu entziehen.
Das wirft die Frage nach einem zentralen 'Abgrenzungsereignis' auf, das die Epoche eröffnet. In philosophisch-weltanschaulicher Hinsicht bieten sich Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) Discours sur les sciences et les arts ('Abhandlung über die Wissenschaften und Künste', 1750) und mehr noch sein Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes ('Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen', 1755) an, die beide die Vergangenheit idealisieren, um die Gegenwart abzuwerten. Zeitgleich überträgt Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) dieses buchstäblich 'gebrochene', weil reflektierte Gegenwartsbewusstsein in seinen Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauer-Kunst auf die ästhetische Argumentation. Seitdem steht zur Debatte, ob den Künstlern der Moderne vollkommene Schönheit überhaupt noch möglich ist.

[Die Fußnoten des Textes sind nicht wiedergegeben.]