Mein Herz hat Sonnenbrand. Über schiefe bis irrwitzige Songtexte aus 60 Jahren deutscher Popmusik

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Songtexte zwischen Anspruch und Auweia

Musikjournalist Michael Behrendt wirft einen analytischen und unterhaltsamen Blick auf Songtexte – und zur Abwechslung mal auf das, was Fans im Überschwang des Musik-Erlebens gern überhören: auf schiefe Sprachbilder und Grammatikpatzer, auf Klischeelawinen, grenzwertiges Englisch und lyrische Peinlichkeiten, auf Verse, die nach hinten losgehen, und auf allzu Ambitioniertes, Prätentiöses, bis hin zu komplettem Unsinn.

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Die etwas andere Songtextanalyse: Zum Loslachen und Kopfschütteln, Entdecken und Feiern.

Eine vergnügliche Sprachreise durch die wundersame Welt der Songtexte: Michael Behrendt führt durch alle Formen songlyrischer Pannen. Von der schmerzlich vermissten Wortendung bis zum stilistischen Fehlgriff, vom unappetitlichen Reim bis zu herrlich sinnfreien Statements. Punk, Rock, Soul, Dance oder Rap werden unter die Lupe genommen, aber auch der Schlager erhält den ihm gebührenden Raum. Unverwüstliche Gassenhauer wie »Anita« oder »Wahnsinn« werden ebenso auf ihre Formulierungsstärke hin abgeklopft wie jüngere Charts-Erfolge, von »Alles an dir« (Mike Singer) bis »Kaleidoskop« (Johannes Oerding). Aber auch das (unfreiwillig) komische Potenzial erfolgreicher Künstlerinnen wie Sarah Connor und Lena Meyer-Landrut oder renommierter Songwriter wie Herbert Grönemeyer und Marius Müller-Westernhagen entgeht Michael Behrendt nicht.

 

Biografie Michael Behrendt

Geboren 1959, ist freiberuflicher Lektor, Musikjournalist und Sachbuchautor mit besonderem Blick auf Pop- und Rock-Lyrics. Magisterarbeit über Patti Smith, 1990 Dissertation über englische und amerikanische Rocklyrik, anschließend Frankfurter Redaktionsleiter der bundesweiten Lifestyle-Illustrierten PRINZ und Chefredakteur des Stadtmagazins Journal Frankfurt.
Zuletzt erschienen von ihm I Don't Like Mondays. Die 66 größten Songmissverständnisse (2017) und Provokation! Songs, die für Zündstoff sorg(t)en (2019). Michael Behrendt betreibt den Songblog tedaboutsongs und schreibt regelmäßig über Pop und Rock auf dem Frankfurter Kulturportal faustkultur.

Interview mit dem Autor Michael Behrendt

Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Buch?
Nach meinen ersten beiden Büchern – I Don’t Like Mondays und Provokation! – hatte ich das Gefühl, dass man im Bereich Musiksachbuch wirklich neue oder zumindest weniger ausgetretene Pfade kaum noch gehen kann. Dann stieß ich in der Musikpresse hin und wieder auf Kommentare zu seltsamen Textstellen in Hits aus dem angloamerikanischen Raum. Das hat länger in mir nachgewirkt, und nachdem ich festgestellt hatte, dass es so etwas aus Deutschland noch gar nicht gibt, reifte in mir der Gedanke, es mit diesem Thema zu versuchen. Mir sind auch sofort einige Beispiele eingefallen.

Ließ sich das 1:1 übertragen?
Nicht unbedingt. Ich bin zwar auf ähnliche Phänomene wie in Songs aus dem angloamerikanischen Raum gestoßen, teilweise aber auch auf ganz andere Irritationen, wie sie sich in den Kapitelüberschriften niederschlagen. Hinzu kommt: Briten und Amerikaner sind in der Popkritik oft aggressiver: Der Ton in meinem Buch ist zwar ebenfalls ironisch und gelegentlich scharf, aber längst nicht so drastisch. Außerdem gehe ich hier und da doch etwas analytischer vor.

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Wie sind Sie auf den Titel „Mein Herz hat Sonnenbrand“ gekommen?
Gerade bei meinem ersten Buch, I Don’t Like Mondays, hat sich ein Songtitel als gute Wahl erwiesen. Viele Interessierte kannten das Stück, und manche kannten wohl auch die Geschichte dahinter. Somit hat der Buchtitel das Thema wunderbar umgesetzt. Das war auch jetzt das Ziel. „Mein Herz hat Sonnenbrand“ ist zwar nicht mehr so im kollektiven Gedächtnis verankert wie I Don’t Like Mondays, aber es handelt sich ebenfalls um einen markanten Songtitel. Und, vor allem: Der Titel ist an Irrwitzigkeit kaum zu übertreffen. Wer ihn liest, muss sofort schmunzeln. Dank an Bata Illic für die Vorlage – besser ließ sich der Buchinhalt kaum verdichten.

Was hat die Auswahl der Songs bestimmt?
Wie in den Vorgängerbüchern habe ich eine breite Genrepalette angestrebt – von Schlager und Chanson über Rock und Indiepop bis zu Rap und Dance. Ganz sicher gibt es wieder den einen oder anderen Song zu entdecken oder wiederzuentdecken. Vor allem aber ging es um verschiedene Arten des Misslingens von Texten, von unsinnigen Behauptungen bis zu Grammatikpatzern, vom seltsamen Textaufbau bis zu schiefen Bildern – und zu Versen, die sogar nach hinten losgehen können. Ganz wichtig: Party-, Nonsens- und Experimentalsongs habe ich bewusst außen vor gelassen. Warum? Weil sie per se mit Sprache spielen, Sprache dehnen und verbiegen, mitunter auf fiese Pointen zielen. Da wäre es müßig, mit dem Finger auf textliche Ungereimtheiten zu zeigen. Auch indizierte Lyrics habe ich bewusst ignoriert, denn auf diesem Gebiet findet sich viel deprimierendes Material. Nein, ich fand vor allem die Pannen, Patzer und Ungereimtheiten in grundsätzlich „ernst“ gemeinten Fließbandproduktionen spannend, aber auch in anspruchsvolleren Texten von Künstler:innen, die mit ihren Lyrics ernst genommen werden wollen.

 

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Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Zunächst habe ich aus der Erinnerung solche Songs notiert und gecheckt, die mir textlich schon immer komisch vorgekommen waren. Daneben hatte ich etliche Vermutungen, die ich ebenfalls geprüft habe – manchmal mit der überraschenden Erfahrung, auf richtig schöne, anspruchsvolle Lyrics gestoßen zu sein. Und schließlich habe ich mich, was sehr viel Spaß gemacht hat, durch die Geschichte der deutschsprachigen Popmusik gehört und gelesen. Gerade dem Lesen kam dabei eine große Bedeutung zu. Na klar, manche Klöpse springen einem schon beim ersten Hören ins Ohr. Aber gesungen und eingebettet in Musik hören sich die meisten Texte gar nicht so übel, ja richtig prima an. Erst beim Lesen – und erst recht bei mehrmaligem Lesen – offenbaren sich hier und da Schwachpunkte.

Treten Sie mit diesen Herangehensweisen nicht einigen Künstler:innen auf die Füße?
Das kommt darauf an, wie souverän diese Künstler:innen sind. Ob sie mit Kritik umgehen, auch mal über sich selbst lachen können.

Texte sind nun mal Bestandteile von Songs, und auch wenn es oft die Musik, das große Ganze ist, das die Fans packt, erfüllen die Lyrics doch eine wichtige Funktion. Selbst bei reinen Fingerübungen und Klischeetexten erwarte ich also ein Mindestmaß an Sorgfalt, bei komplexeren Botschaften sowieso.

Dennoch: Darf man das, einfach so auf Künstler:innen zeigen? Ist das nicht auch kleinlich, despektierlich?
Aber natürlich darf man das. Nehmen Sie die Stiftung Warentest, die Produkte auf ihre Qualität untersucht. Oder den Bund der Steuerzahler, der regelmäßig prüft, wo Steuergelder verschwendet wurden. Bei jeder Onlinebestellung werden Sie um ein Feedback zur Kaufabwicklung und zum Produkt gebeten. Warum soll ich nicht auch Songs, und besonders Songtexte prüfen und bewerten? Künstler und Künstlerinnen wollen doch, dass man sich mit ihren Werken auseinandersetzt. Manche beschweren sich sogar, wenn Leute nicht richtig zuhören. Also tue ich ihnen den Gefallen und höre oder schaue mal ganz genau hin. Es ist, um mal rhetorisch über die Stränge zu schlagen, mein Recht als mündiger Bürger, mein Recht als Fan – und letztlich auch als Kunde.

Glauben Sie denn, immer recht zu haben mit Ihren Analysen?
Natürlich nicht – es wäre vermessen, so etwas zu behaupten. Deshalb habe ich ja ein paar „Disclaimer“ in die Einleitung zum Buch eingebaut. Ich weiß, dass ich möglicherweise im Glashaus sitze und mit Steinen werfe. Ich weiß, dass manche Beobachtungen auch auf subjektivem Empfinden beruhen und bisweilen arg ins Spitzfindige gehen. Ich weiß, dass es hier um Schlaglichter geht und dass eine kleine schiefe Textzeile nicht bedeutet, dass auch alles andere aus derselben Feder daneben ist. Aber genau das Schlaglichtartige, das Zugespitzte liefert auch den Gesprächsstoff – fördert die Auseinandersetzung. Und es macht nicht nur mir, sondern hoffentlich auch der einen Leserin oder dem anderen Leser großen Spaß.

Apropos Spaß: Geht es vor allem darum? Oder was ist Ihre Intention mit diesem Buch?
Es geht um eine Mischung aus Spaß und Aufklärung, um Infotainment. Das Buch soll angenehm und gut zu lesen sein, und man darf, man soll als Leser:in ins Schmunzeln kommen. Sollte eine Buchhandlung „Mein Herz hat Sonnenbrand“ in der Rubrik „Humor“ führen, wäre ich nicht böse. Gleichzeitig geht es aber zwischen den Zeilen um die Fragen: Was ist gute und was ist schlechte Lyrik? Wie weit kann und darf man im Kunstwerk Sprache manipulieren? Oder ist da mittlerweile einfach alles erlaubt? Wenn man so will, schwingt auch Sprachkritik mit. Und: Es geht immer wieder um genaues Zuhören, um die Auseinandersetzung mit dem Text. Den überhören wir ja gern, und wenn wir mal darauf achten, gehen wir davon aus, dass die Künstler ihr Bestes gegeben haben – dass alles, was man hört und liest, seine Berechtigung hat und schon irgendwie passt. Aber das tut es manchmal eben nicht.
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Songwriter:innen sind auch nur Menschen, stehen gelegentlich unter Zeitdruck, haben mal einen schlechten Tag oder hatten einfach einen Knoten im Hirn, den sie nicht gelöst bekommen haben. Das Buch regt an, über unrunde Textstellen nachzudenken. Dabei ist auch der Schluss erlaubt, dass der Autor Michael Behrendt gepatzt hat und selber Unsinn produziert. Die Auseinandersetzung über Lyrics ist das Spannende.

Gibt es Künstler:innen, bei denen Sie mehr gefunden haben als bei anderen?
Es ist immer heikel, in so einem Interview einzelne Kandidat:innen herauszuheben. Denn es ist ja auch genreabhängig – der Schlager beispielsweise bietet von vornherein mehr Angriffsfläche, weil er auf seichte Unterhaltung zielt und oftmals „von der Stange“, also flüchtig und auf einfache Effekte hin produziert wird. Da kommt so mancher ungewollte Unsinn heraus. Aber tatsächlich bin ich auch auf renommiertere Künstler:innen oder Songwriter:innen gestoßen, deren Texte immer wieder Auffälligkeiten zeigen. Die frühen Toten Hosen etwa, die noch reichlich ungelenk zu Werke gingen. Wolf Maahn, der meines Erachtens tolle Musik macht, aber nicht immer ein glückliches Händchen bei der Wahl seiner Bilder und Metaphern hat. Dieter Bohlen, der das Collagieren englischsprachiger Klischees zur – bisweilen zweifelhaften – Meisterschaft gebracht hat. Xavier Naidoo, ein Künstler, der „deepness“ suggeriert,

Blick ins Buch


aber überraschend viele Phrasen und gelegentlich sogar fragwürdige Botschaften produziert. Oder unsere Publikumslieblinge von The BossHoss, die bei genauer Betrachtung in vielen Songs schon reichlich postpubertär daherkommen – ich habe es „Rock ’n’ Roll als Herrenwitz“ genannt.

Welche Erkenntnisse haben Sie selbst gewonnen?
Wie viele tolle Songtexte es gibt – auch wenn sie nicht im Buch thematisiert werden. Die überwältigende Zahl der veröffentlichten Lyrics ist handwerklich zumindest okay, oft originell, und nicht wenige Texte sind sprachlich, inhaltlich überaus anspruchsvoll. Ganz wichtig ist das Phänomen, dass eine charismatische Künstlerpersönlichkeit, ein toller Sound, eine eingängige Melodie, also der ganze musikalische beziehungsweise nichtsprachliche Rahmen fast jeden misslungenen Text vergessen machen. Und noch etwas ist mir aufgefallen, es zieht sich fast wie ein Subtext durchs Buch: der latente bis manifeste Sexismus oder Machismo, der seit den Sixties die gesamte Popmusik prägt, auch die deutschsprachige. Das reicht vom Schlager über Hardrocker wie die geschätzten Scorpions bis zu heutigen Battle- und Gangsta-Rappern oder eben kumpelhaften Bands wie The BossHoss.
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Behrendt, Michael: Mein Herz hat Sonnenbrand

Buch: Hardcover.
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