Benjamin Carter Hett, geboren 1965, ist Historiker und Professor an der City University of New York. Zuletzt erschienen seine Bücher
Der Reichstagsbrand. Wiederaufnahme eines Verfahrens (2016) und
Otto John. Patriot oder Verräter: Eine deutsche Biografie (2019).
Interview mit Benjamin Carter Hett
Portrait Benjamin Carter Hett
Foto: Privat
Warum wollten Sie dieses Buch schreiben?
Welche Perspektive hat Ihnen in der Literatur
zum Zweiten Weltkrieg gefehlt?
Jede Zeit bringt neue Fragen mit sich, die uns die Vergangenheit in einem anderen Licht sehen lassen. Heute sind wir mit dem erneuten Aufstieg von Nationalismus und Rechtsextremismus konfrontiert: Es gibt überall auf der Welt extremistische Führungsfiguren, die nur von ihren eigenen Landsleuten oder Regierungen aufgehalten werden können. Vor diesem Hintergrund können wir in den 1930er und 1940er Jahren neu und teils überraschend beobachten, wie in einem autoritären Staat hinter den Kulissen demokratische Strukturen untergraben werden.
Sie nähern sich der Zeit um 1939 aus der Perspektive zahlreicher Persönlichkeiten, auch
solchen der ›zweiten Reihe‹. Was fördert der
Blick auf diese Konflikte unter der Oberfläche
zutage?
Wir müssen uns klarmachen: Hitler wollte die Eskalation und diesen Krieg um jeden Preis. Auch wenn er noch im Frühjahr 1939 nicht wusste, gegen wen er kämpfen würde. Deshalb ist es spannend, wie unterschiedlich Diplomaten und Offiziere auf dieses brutale, amoralische Vorgehen reagierten. Das gilt auch für die Briten und Amerikaner, die um Strategien zur Kriegsvermeidung und Konfliktlösung rangen. Für welche Ziele sollte eine Demokratie in den Krieg ziehen – und welche Art zu kämpfen war die richtige?
Gab es Details, die Sie bei Ihrer Forschung besonders überrascht haben?
Mich hat etwa erstaunt, wie sehr ich Friedrich Hoßbach, bis 1938 Hitlers Militäradjutant, zu schätzen gelernt habe – einen furchtlosen, ehrlichen Preußen, der sein Bestes tat, um Hitler zu kontrollieren. Oder die Tatsache, dass der britische Geheimdienst MI5 1938 seinen eigenen Premierminister ausspionierte. Denn Chamberlain hatte nach der Münchner Konferenz einen äußerst unangemessenen inoffiziellen Kanal eingerichtet, um mit der NS-Regierung ohne Wissen des Außenministeriums zu kommunizieren.