Paul Gerhardt, 12. 3. 1607 Gräfenhainichen (Sachsen) –
27. 5. 1676 Lübben im Spreewald. Der Sohn eines Gastwirts und einer Pfarrerstochter besuchte die Fürstenschule in Grimma und studierte von 1628 an fast 30 Semester Theologie in Wittenberg, wobei er wohl zugleich als Hauslehrer und Predigtgehilfe tätig war. 1643 ging er nach Berlin und wirkte auch hier als Hauslehrer, bis er 1651 eine Pfarrstelle in Mittenwalde in der Mark erhielt und einen Hausstand gründen konnte. Als Diakon der Berliner Nicolaikirche (seit 1657) wurde er in die Besonderheiten der brandenburgischen Kirchenpolitik verstrickt. G. weigerte sich, das Toleranzedikt von 1664 zu unterschreiben, mit dem das reformierte Herrscherhaus die Anerkennung seiner Konfession und Toleranz zwischen Reformierten und Lutheranern zu erzwingen suchte. Da G. auch Kompromisse ablehnte, wurde er 1667 abgesetzt; seine letzten Jahre – von 1669 bis zu seinem Tod – verbrachte er als Archidiakonus in Lübben, das zum lutherischen SachsenMerseburg gehörte. G.s Lieder setzen die Tradition des reformatorischen Kirchenliedes fort, öffnen sich dabei aber den Strömungen einer vertieften und verinnerlichten Frömmigkeit, wie sie sich um 1600 im Erbauungsschrifttum Ausdruck verschafft hatten. Die Lieder erschienen seit 1647 nach und nach in verschiedenen Ausgaben von Johann Crügers
Praxis pietatis melica, bis der Komponist Johann Georg Ebeling 1666–67 eine erste Sammlung veranstaltete. Schlichtheit und religiöse Innigkeit charakterisieren viele Lieder G.s; die Auswahl im
Evangelischen Kirchen-Gesangbuch bevorzugt Texte dieser Art. Etwa die Hälfte der Lieder basiert auf Bibelstellen. Aus der lat. Hymnentradition stammt
O Haupt vol Blut und Wunden. Volkstümlich wurde er mit Liedern wie
Befiehl du deine Wege,
Geh aus mein Hertz und suche Freud oder
Nun ruhen alle Wälder.
Ausgaben: Geistliche Lieder. Hist.-krit. Ausg. Hrsg. von Johann Friedrich Bachmann. Berlin 1866. 21877. – Dichtungen und Schriften. Hrsg. von Eberhard v. Cranach-Sichart. München 1957. – Geistliche Andachten (1667). Samt den übrigen Liedern und den lat. Gedichten. Hrsg. von Friedhelm Kemp. Bern/München 1975.
In: Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren. Von Volker Meid. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart: Reclam, 2006. (
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