Georg Büchner – Revolutionär, Dichter und Mediziner

Georg Büchner wurde am 17. Oktober 1813 im hessischen Goddelau geboren, an dem Tag, als in Leipzig die Völkerschlacht tobte. Trotz seines schmalen Werks gilt Büchner bis heute als einer der wirkmächtigsten Vertreter der Epoche des Vormärz. An die Öffentlichkeit trat er als Schriftsteller, Publizist, Wissenschaftler und Revolutionär. Seine Werke entstanden in nur vier gehetzten Jahren zwischen 1834 und 1837.


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Studium, revolutionäre Aktivitäten und früher Tod

Nach der Schulzeit in Darmstadt studierte Büchner ab 1831 Medizin und Naturwissenschaften in Straßburg und später in Gießen. Im Großherzogtum Hessen übernahm er eine führende Rolle in der politischen Opposition und gründete die »Gesellschaft für Menschenrechte«. Wegen seines Eintretens für politische Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit musste Büchner 1835 nach Straßburg fliehen. Hier und später in Zürich entfaltete er seine wissenschaftliche und literarische Tätigkeit. Am 19. Februar 1837 starb Büchner im Alter von nur 23 Jahren an einer Typhusinfektion.

In vier Jahren vier bedeutende Werke – und eine Flugschrift

In nur vier Jahren entstanden eine Flugschrift, Der Hessische Landbote (1834), und literarische Werke, die bis heute unbestritten zum Kanon der deutschen Literatur zählen: das Revolutionsstück Dantons Tod (1835), das einzige zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Werk, die Erzählung Lenz (1835), das Lustspiel Leonce und Lena (1836) und das Dramenfragment Woyzeck (1837), das erste soziale Drama der deutschen Literaturgeschichte, außerdem Übersetzungen sowie wissenschaftliche und philosophische Abhandlungen. Ein weiteres Drama - Pietro Aretino - ist verschollen.

Aufbruch in die Moderne

Die Literaturepoche zwischen dem Wiener Kongress 1814/15 und der Märzrevolution 1848 wird als Vormärz bezeichnet. Der Literatur des Vormärz nahm eine gesellschaftspolitische Funktion wahr, auch soziale Fragen der beginnenden Industrialisierung wurden thematisiert. Einen ersten Höhepunkt des Widerstandes bildete das Wartburgfest der in Burschenschaften organisierten Studenten im Oktober 1817. Die Julirevolution in Frankreich 1830 war ein weiterer Impuls, der mit dem Hambacher Fest zur ersten großen politischen Massenveranstaltung in Deutschland führte. Bildungsbürgertum, Studenten und Literaten begehrten gegen die restaurative staatliche Obrigkeit auf. Sie forderten Freiheit, Gleichheit, eine demokratische Verfassung und nationale Einheit, einige wenige wie Büchner sogar: soziale Gerechtigkeit.

»Friede den Hütten, Krieg den Palästen!«

1834 verfasste Georg Büchner die politische Flugschrift Der Hessische Landbote, die von dem Theologen Friedrich Ludwig Weidig überarbeitet wurde (indem er radikale Stellen entschärfte). Darin kritisierten die Autoren die sozialen Missstände im Großherzogtum Hessen-Darmstadt und riefen die Bevölkerung zum Aufstand gegen den Adel auf. Die Flugschrift richtete sich explizit an die notleidende Kleinbauernschaft. Büchner bediente sich einer agitatorischen Bildsprache und statistischer Zahlen zu den Steuerabgaben der Bevölkerung. Die Flugschrift zeigte jedoch keine Wirkung; die Bauern lieferten sie gewissenhaft bei den Polizeibehörden ab. Büchner wurde wegen »staatsverräterischer Handlungen« steckbrieflich gesucht und musste nach Frankreich fliehen.

Das erste bedeutende soziale Drama der deutschen Literatur

In seinem Drama Woyzeck erzählt Büchner in einer Anzahl von szenischen Bildern vom mittellosen Soldaten Woyzeck, der von seinen Vorgesetzten immer wieder erniedrigt und zu medizinischen Versuchen skrupellos missbraucht wird. Sein einziger Halt ist Marie, die ein uneheliches Kind von ihm hat. Als Woyzeck von einem Verhältnis seiner Geliebten zu einem Tambourmajor erfährt, ersticht er sie aus, halb im Wahn, halb aus Verzweiflung.

Büchner konnte das Drama, das auf einem realen Mordfall basiert, aufgrund seines frühen Todes nicht fertigstellen. Das Fragment erschien erst 1879 und wurde 1913 in München uraufgeführt.

Detailliertes Psychogramm eines »unglücklichen Poeten«

In seiner Erzählung Lenz, mit dem berühmten ersten Satz „Den 20. ging Lenz durchs Gebirg«, porträtiert Büchner ebenfalls einen einsamen und psychisch kranken Menschen. Die aufrührende Novelle beruht auf dem Leben des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz (1751–1792), der in der Epoche des Sturm und Drang wirkte. Lenz, der fünfzig Jahre zuvor ebenfalls als politischer Flüchtling in Straßburg gelandet war, litt unter Angstzuständen und Wahnvorstellungen. Der seelisch Kranke sucht in einem kleinen elsässischen Bergdorf bei dem Pfarrer Oberlin Zuflucht; doch trotz der Fürsorge verschlimmert sich sein Gesundheitszustand weiter. »Mitempfindende Parteilichkeit« (Gerhard Knapp) ist das künstlerische Credo Büchners – nicht nur im Lenz. Die Erzählung kombiniert mitfühlende Identifikation mit einer sachlichen und analysierenden Reportage. Sie zählt zu den schönsten und ergreifendsten Novellen der deutschen Literatur.


Man muss die Menschheit lieben, um in das eigentümliche Wesen jedes einzudringen, es darf einem keiner zu gering, keiner zu hässlich sein, erst dann kann man sie verstehen; das unbedeutendste Gesicht macht einen tiefern Eindruck als die bloße Empfindung des Schönen …


Aus dem sogenannten »Kunstgespräch« in Lenz


Wegbereiter der literarischen Moderne

Mit Ausnahme des Hessischen Landboten (naturgemäß anonym) und des Dramas Dantons Tod hat Georg Büchner die Veröffentlichung seiner Werke nicht mehr erlebt. So begrenzt seine Wirkung zu Lebzeiten war, so breit war sie ab dem Ende des 19. Jahrhunderts, als seine Werke einem größeren Publikum bekannt wurden. Kaum zu überschätzen ist seine wegweisende Bedeutung für die Naturalisten, allen voran Gerhart Hauptmann, und den Expressionismus. Bertolt Brecht, Alfred Döblin und Heiner Müller sahen in ihm eine Inspirationsquelle. Alban Berg komponierte die Oper Wozzeck, nachdem er den Woyzeck in Wien auf der Bühne gesehen hatte. Heute gehören Büchners Werke zum festen Repertoire der Schauspielhäuser und des schulischen Literaturunterrichts. Seit 1923 wird der Georg-Büchner-Preis verliehen, der wichtigste Literaturpreis Deutschlands.