Die Brontës – ein Schwestern-Trio erobert die Welt der Romane

War das Leben in einem Pfarrhaus des 19. Jahrhunderts, das in den einsamen Yorkshire Dales lag, langweilig oder eher fantasieanregend? Offensichtliches Letzteres, vielleicht auch beides. Zumindest kann man darüber spekulieren, wenn gleich vier Kinder einer dort ansässigen Pfarrersfamilie schriftstellerisch tätig wurden. Sicher ist, dass eine gehörige Portion Talent im Spiel gewesen sein muss, als Charlotte, Emily, Anne und Branwell Brontë zur Feder griffen. Während es der Bruder allerdings zu keinem bedeutenden Werk brachte, begeistern die drei Schwestern mit Romanen wie Jane Eyre, Wuthering Heights (dt. Sturmhöhe) oder Agnes Grey weit über die Grenzen Englands hinaus bis heute das Publikum.


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Geschwister im Schreibmodus

Die Kinder der Familie Brontë vertrieben sich in ihrer einsamen Wohngegend die Zeit mit dem Erfinden von Fantasiewelten. Sie hielten sie in Miniaturbüchern fest und übten sich so im Schreiben. Jahre später beschlossen Charlotte, Emily und Anne sich zeitgleich hinzusetzen und Romane zu verfassen. Dabei entstanden Werke von so beachtlicher Qualität, dass sie aus dem Kanon der englischsprachigen Klassiker nicht mehr wegzudenken sind.

In allen Romanen der Brontë-Schwestern treten uns vielschichtige weibliche Hauptfiguren entgegen, die durch Stärke, Unabhängigkeitsstreben und das Durchbrechen von Konventionen überzeugen. Die Schwestern ließen ihre Erfahrungen als Lehrerinnen und Gouvernanten einfließen, kritisierten gesellschaftliche Missstände und sparten Tabuthemen wie die Gewalt an Frauen durch Männer nicht aus.

Eine frühe Welle von Todesfällen

Zwischen 1814 und 1820 brachte Maria Brontë, geborene Branwell, sechs Kinder zur Welt: Maria (1814), Elizabeth (1815), Charlotte (1816), Branwell (1817), Emily (1818) und Anne (1820). Wenige Monate nach der Geburt ihres letzten Kindes verstarb sie an einer Unterleibskrankheit. Ihre ältere Schwester, Elizabeth Branwell, kümmerte sich künftig um die Familie.

Während Sohn Branwell vom Vater unterrichtet wurde, besuchten die Mädchen mit Ausnahme von Anne, die noch zu klein war, zunächst das Internat Cowan Bridge School. 1825 brach dort eine Typhus-Epidemie aus, kurz darauf wurde zuerst bei Maria, dann bei Elizabeth Tuberkulose diagnostiziert. Beide verstarben innerhalb kurzer Zeit, die übrigen Schwestern wurden von der Schule geholt und zuhause unterrichtet.

Bereits die Eltern schrieben: Hatte Maria Brontë einen Essay zu religiösen Fragen verfasst, übte sich Patrick Brontë neben Essays in Gedichten und Erzählungen. Seine Kinder hielt er zur Lektüre zeitgenössischer und antiker Literatur an, die Bibliothek des Hauses stand ihnen zur Verfügung. Sowohl er als auch die Tante der Geschwister, Elizabeth Branwell, bezogen mehrere Zeitschriften, zu deren Lektüre sie die Kinder anhielten.

Fantasiewelten im Pfarrhaus

Charlotte, Emily, Anne und Branwell Brontë kamen in Thornton, West Yorkshire, zur Welt. Dort wirkte der Vater als Pfarrer, bis er 1820 eine größere Gemeinde im rund 10 Kilometer entfernten Haworth übernahm. (Das Pfarrhaus wurde inzwischen zu einem Brontë-Museum umgestaltet.) Der neue Wohnort lag in den Pennies und war umgeben von Mooren und sturmgepeitschten Höhen. Die wilde Schönheit dieser Landschaft bildet die Kulisse in Charlotte Brontës Roman Sturmhöhe.

In dem abgelegenen Ort verbrachten die vier Geschwister viel Zeit miteinander. Rund um die hölzernen Spielsoldaten Branwells entwickelten sie mit Glass Town, das später zum Königreich Angria wurde, und der Insel Gondal eine eigene Fantasiewelt. Da alle einen Hang zum Schreiben hatten, legten sie ihre Geschichten darüber in Miniaturbüchern nieder, die als Lektüre für die Spielsoldaten gedacht waren.

Frauenarbeit in der Viktorianischen Zeit

Landpfarrer im viktorianischen England waren selten mit Reichtümern gesegnet, und wurden die Töchter wie im Fall der Brontë-Schwestern nicht zügig verheiratet, mussten sie sich ihren Unterhalt selbst verdienen. Es standen ihnen damals allerdings nur wenige Berufe offen. Charlotte, Emily und Anne sammelten als Lehrerinnen und Gouvernanten Erfahrung. Darüber hinaus wollten sie eine eigene Schule eröffnen, wozu es aber nicht kam, weil ihre Tante Elizabeth Branwell 1842 verstarb und sie dank des Erbes unabhängig wurden.

1846 veröffentlichten die Schwestern einen Band mit ihren Gedichten, der nur drei Abnehmer fand. Sie wählten dafür männliche Pseudonyme, die sie auch zukünftig beibehielten. Im gleichen Jahr begannen sie die Arbeit an Prosatexten.

Charlotte Brontë und die temperamentvolle Jane Eyre

Die älteste der damals noch lebenden Schwestern, Charlotte Brontë, schickte zunächst eine Erzählung an einen Verlag. Diese wurde erst 1857 unter dem Titel The Professor (dt. Der Professor) publiziert, denn der Verleger wünschte sich stattdessen einen längeren Roman, worauf sie Jane Eyre verfasste. Das Buch erschien 1847 unter ihrem Pseudonym Currer Bell. Sie erzählt darin die Geschichte eines armen Waisenmädchens, das zur Gouvernante wird und nach zahlreichen Irrungen und Wirrungen sein Glück findet. Die Autorin verarbeitete in dem Bildungsroman den Tod ihrer älteren Schwestern und ihre eigenen Erfahrungen als Schülerin sowie Lehrerin und Gouvernante.

Bei seinem Erscheinen stieß der Ich-Roman mit seiner willensstarken Heldin und seinen sozialkritischen Anklängen auf gemischte Reaktionen, wurde aber dennoch ein Bestseller. Inzwischen zählt Jane Eyre zu den erfolgreichsten Romanen der englischen Literatur.

»Warum musste ich immer leiden? Warum wurde ich ständig gescholten, beschuldigt und verurteilt? Warum konnte ich es nie jemandem recht machen? Warum war es sinnlos zu versuchen, jemandes Gunst zu gewinnen? […]

Ich war ein Fremdkörper in Gateshead Hall; ich war anders als all die anderen, die dort lebten. Mit Mrs. Reed, ihren Kindern oder ihren auserwählten Vasallen hatte ich nichts gemein. Wenn sie mich nicht liebten, so liebte ich sie freilich ebenso wenig.«

Aus Jane Eyre, Auszug aus Kapitel 2


Emily Brontë und die Leidenschaften auf der Sturmhöhe

Emily Brontës einziger Roman, Sturmhöhe, erschien unter ihrem Pseudonym Ellis Bell ebenfalls 1847 und in einem Band zusammen mit Agnes Grey, geschrieben von ihrer Schwester Anne. Die Geschichte zweier von ihren Leidenschaften getriebenen Familien spielt in den düsteren Yorkshire Dales. Im Mittelpunkt steht Heathcliff mit seiner Liebe zur Adoptivschwester Cathy, die jedoch einen anderen heiratet.

Heute gilt Sturmhöhe als einer der bedeutendsten Romane der Weltliteratur, zur Zeit seines Erscheinens erfuhr er jedoch heftige Kritik. Die Einführung von gleich zwei Ich-Erzählern, die dämonische Hauptfigur Heathcliff, Gewaltszenen und häuslicher Missbrauch stießen ebenso auf Befremden wie die Thematisierung sozialer Missstände.

»1801. – Gerade bin ich von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekommen – diesem unzugänglichen Nachbarn, der mich noch beschäftigen wird. Die Gegend hier ist einfach herrlich! Ich glaube, in ganz England hätte ich keine andere Stelle finden können, die vom Lärm der Gesellschaft so gänzlich unberührt ist. Ein Paradies für einen Menschenfeind! Und Mr. Heathcliff und ich, wir sind genau die Richtigen, um uns diese Einöde zu teilen.«

Aus Sturmhöhe, Auszug aus Kapitel 1


Anne Brontë und die unglückliche Gouvernante Agnes Grey

Wie Jane Eyre ist auch Anne Brontës 1847 unter dem Pseudonym Acton Bell erschienenes Werk Agnes Grey ein in Ich-Form gehaltener Bildungsroman. Die Titelfigur ist eine Gouvernante und Lehrerin, die ihr Glück in der Ehe findet. Auch hier flossen die Erfahrungen einer Autorin ein, die mehrere Jahre in diesen Berufen tätig war. Die Handlung klingt banal, beinhaltet jedoch scharfe Kritik an der Ausbeutung und Geringschätzung der gebildeten jungen Frauen, die aus guter, aber armer Familie stammen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Immerhin kann Agnes Grey das Gouvernanten-Dasein hinter sich lassen und zusammen mit ihrer verwitweten Mutter eine kleine Schule gründen.

»Ich setzte all meine Kraft daran, die Pflichten dieser neuen Lebensweise zu erfüllen. Ich bezeichne sie als neu, denn es lag ein erheblicher Unterschied darin, ob ich mit meiner Mutter in unserer eigenen Schule arbeitete oder als Angestellte unter Fremden, von Jung und Alt verachtet und mit Füßen getreten; und während der ersten paar Wochen war ich keineswegs unglücklich.«

Aus Agnes Grey, Kapitel 21


Mit dem zweiten Roman zum Erfolg

Während sich Jane Eyre zum Bestseller entwickelte und Sturmhöhe ebenfalls viel Beachtung fand, war Agnes Grey nur mäßig erfolgreich. Anders verhielt es sich mit Anne Brontës nächstem Roman The Tenant of Wildfell Hall (dt. Die Herrin von Wildfell Hall). Er verkaufte sich sehr gut und gilt als einer der ersten feministischen Frauenromane, denen nachhaltiger Erfolg beschieden war. Sie schildert darin die Qualen einer Frau unter ihrem alkoholkranken und gewalttätigen Ehemann. Dem stellt sie die Forderung nach Gleichberechtigung der Frau in der Ehe entgegen.

Die zweite Todeswelle in der Familie Brontë

1848, im gleichen Jahr, in dem der Roman erschien, verstarben Branwell (wohl an Bronchitis und Nierenversagen aufgrund von Alkohol- und Drogenmissbrauch) und Emily (an einer Lungenentzündung). Wenige Monate später folgte ihnen Anne, die allem Anschein nach an Tuberkulose litt, was als Grunderkrankung auch bei den vorangegangenen Brontë-Kindern nicht ausgeschlossen wird.

Zurück blieb Charlotte, die sich um den literarischen Nachlass ihrer Geschwister kümmerte, die Pseudonyme lüftete und weitere eigene Romane publizierte. Sie heiratete 1854 und verstarb 1855 durch Entkräftung infolge unstillbaren Erbrechens während ihrer Schwangerschaft. Patrick Brontë überlebte sein letztes Kind um sechs Jahre. Er brachte zusammen mit seinem Schwiegersohn Charlottes letzten Roman heraus und veranlasste ihre Freundin Elizabeth Gaskell, ihre Biografie zu schreiben.