Die vier heranwachsenden Schwestern der Familie March aus der Tetralogie Little Women (dt. Little Women. Beth und ihre Schwestern) könnten nicht unterschiedlicher, aber auch nicht enger verbunden sein. Trotz Armut, Krankheit, Krieg und Liebeswirren finden sie ihren Weg und begeistern seit mehr als 160 Jahren vor allem junge Leserinnen. Ihre Schöpferin Louisa Mary Alcott (1832–1888) wollte ursprünglich kein Mädchenbuch schreiben, fügte sich aber dem Verlegerwunsch – und verfasste einen Weltbestseller. Die amerikanische Schriftstellerin setzte darin ihren eigenen Schwestern ein Denkmal, denn in die Tetralogie flossen zahlreiche autobiografische Details ein.
Leben in Freiheit
Die Mutter trat gegen die Sklaverei und für die Selbstbestimmung der Frau ein. Der Vater war Pädagoge und Vertreter des Transzendentalismus, der ein freiheitliches, antimaterialistisches Leben im Einklang mit der Natur propagierte. Die vier Töchter der Alcotts wuchsen in bescheidenen Verhältnissen, aber behütet und frei auf. Louisa May Alcott, die Zweitgeborene, galt als die Wilde, Jungenhafte unter den Schwestern. Sie verweigerte sich der Ehe, engagierte sich für soziale Gerechtigkeit und machte ihre Leidenschaft zum Beruf.
Little Women: ein weltweiter Dauerbrenner
Schreiben war Louisa May Alcotts Passion, und obwohl sie von Krankheit gezeichnet war, hinterließ sie ein beachtliches Werk. Während sie anfangs konventionelle, dem Publikumsgeschmack angepasste Geschichten verfasste, gelang ihr mit Little Women ein Novum in der amerikanischen Mädchenliteratur und zugleich ein weltweiter Klassiker. Die Tetralogie, deren erste beiden Bände 1868 und 1869 erschienen, wurde in fast 30 Sprachen übersetzt und beeinflusste Autorinnen wie J. K. Rowling, Simone de Beauvoir, Margaret Atwood und Elena Ferrante.
Familie Alcott – arm, gebildet und im Dienst der Humanität
Louisa May Alcott kam am 29. November 1832 als zweite von vier Schwestern in Germantown, Pennsylvania, zur Welt, verbrachte aber die meiste Zeit ihres Lebens in Boston und Concord, Massachusetts. Ihre Mutter Abigail May Alcott und ihr Vater Amos Bronson Alcott ermunterten die Töchter dazu, ihren eigenen Weg zu gehen.
Die Alcott-Mädchen wurden von ihrem Vater unterrichtet und durch den Kontakt mit den intellektuellen Freunden der Familie, darunter Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau, Nathaniel Hawthorne, Elizabeth Palmer Peabody und Margret Fuller, stark beeinflusst.
Zwar waren die geistigen Einflüsse sehr reich, aber aufgrund der Erfolglosigkeit und finanziellen Unbeholfenheit des Vaters lebten die Alcotts in Armut. Schon früh übernahm deshalb Louisa May Alcott finanzielle Verantwortung für die Familie. So verdiente sie durch Unterrichten, Nähen und Krankenpflege Geld dazu, sehr viel andere Berufstätigkeiten waren den Frauen nicht erlaubt. Vor allem aber schrieb sie – zum Broterwerb und aus Leidenschaft.
Die Bewegung des Transzendentalismus
Basierend auf einem humanistischen Weltbild und dem deutschen Idealismus vertraten die amerikanischen Transzendentalisten Selbstbestimmung und Antimaterialismus sowie ein ausgewogenes Verhältnis von Rationalität und Intuition. Sie verfochten etwa die Abschaffung der Sklaverei und die Gleichstellung der Frau, wozu auch das Wahlrecht für Frauen gehörte. Der Vater rechnete sich dieser Bewegung zu, und deren Ideale beeinflussten auch Louisa May Alcotts selbst.
Zu den hauptsächlich in der Gegend von Boston ansässigen Intellektuellen der Gruppe gehörten unter anderem die erwähnten Schriftsteller Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau und Nathaniel Hawthorne sowie Elizabeth Palmer Peabody, Gründerin des ersten englischsprachigen kindergarden, und die Journalistin und Frauenrechtlerin Margaret Fuller.
Aus diesem Geist heraus initiierte Amos Bronson Alcott zusammen mit Elizabeth Palmer Peabody 1834 die Temple School, in der auch Margret Fuller unterrichtete. Ihre Erziehungsprinzipien, etwa keinerlei körperliche Züchtigung der Schüler, riefen die Gegner auf den Plan. Diese bewirkten, dass die Familien ihre Kinder von der Schule nahmen und die Betreiber sie nach wenigen Jahren schließen mussten.
1834 gründete Alcott mit Charles Lane die landwirtschaftliche Kommune Fruitlands, in der er mit seiner Familie selbst lebte. Ziel war es, sich autark zu versorgen, ohne Tiere als Nahrungsmittel oder für die Feldarbeit zu benutzen. Erneut scheiterte er. Louisa May Alcott verarbeitete ihre Erinnerungen an Fruitlands 1876 in der Erzählung Transcendental Wild Oats.
Von Schauergeschichten zum Welterfolg
Zunächst schrieb Louisa May Alcott unter dem Pseudonym A. M. Barnard Schauergeschichten und lag damit im Trend des Publikumsgeschmacks. Sie blieb dabei aber nicht stehen, so verarbeitete sie etwa in Hospital Sketches (1863) ihre Erlebnisse als Krankenschwester im Amerikanischen Bürgerkrieg. 1862 war sie nach Georgetown gegangen, um für die Unionsarmee verletzte Soldaten zu pflegen, aber schon nach wenigen Wochen an Typhus erkrankt und nach Hause zurückgekehrt. Die Krankheit und die Quecksilbertherapie, die man ihr angedeihen ließ, führten zu lebenslangen gesundheitlichen Beschwerden.
Die Erzählungen aus Hospital Sketches brachten Louisa May Alcott einen ersten größeren Erfolg. Wenige Jahre später erfolgte der Durchbruch. 1868 erschien Band I von Little Women, der zweite folgte 1869. 1871 ergänzte sie die Reihe mit dem Band Little Man, 1886 wurde mit Jo’s Boys der letzte Band publiziert. Schon der erste Band wurde sofort zu einem Erfolg – dabei hatte die Autorin das Buch gar nicht schreiben wollen.
Little Women – Louisa May Alcott trifft den Nerv der jungen Leserinnen
Der Verleger Thomas Niles schlug Louisa May Alcott vor, ein Mädchenbuch zu schreiben, weil er dafür eine Marktlücke sah. Seine Autorin machte sich zwar ans Werk, verwarf aber das Projekt schnell wieder. Sie hatte das Gefühl, kein solches Buch schreiben zu können. Niles setzte sie daraufhin unter Druck, indem er ein Manuskript ihres Vaters nur veröffentlichen wollte, wenn die Tochter das erbetene Jugendbuch ablieferte. Bestrebt, ihrer Familie zu helfen, nahm Louisa May Alcott die Arbeit wieder auf, und in nur zwei Monaten entstand Little Women.
Sie erzählt darin die Geschichte der vier Schwestern Meg, Jo, Beth und Amy March, die in der Zeit des Bürgerkriegs in einer gebildeten, aber armen Familie in Neuengland aufwachsen. Unschwer lassen sich in den vier Schwestern die Alcott-Mädchen Anna, Elizabeth, May und eben Louisa erkennen, wobei der Wildfang Jo die Züge seiner Schöpferin trägt. Der Liebe ihrer Eltern und des Zusammenhalts unter den Schwestern gewiss, gehen die March-Schwestern unterschiedliche Wege. Sie kennen Liebeskummer und Selbstzweifel, erleben Trauer und Glück, handeln manchmal widerstrebend, letztlich aber doch zum Wohl ihrer Umgebung.
Louisa May Alcott beschreibt in ihrem Bestseller die Lebenswelt, wie sie junge Mädchen kannten, und lässt keinen Zweifel daran, dass das Leben kein Kinderspiel ist. Trotzdem schafft sie es, positiv zu bleiben und den Leserinnen die Botschaft zu vermitteln, dass sie das Recht haben, ihrem eigenen Willen zu folgen. Die Autorin traf damit offenbar einen Nerv und trifft ihn noch immer. Little Women gehört zu den erfolgreichsten Büchern der amerikanischen Literatur und weit über diese hinaus. In den verschiedenen Verfilmungen waren unter anderem Katherine Hepburn und Joan Bennett, Elizabeth Taylor und Janet Leigh, Winona Ryder und Emma Watson zu sehen.
»Auf Außenstehende machte es den Eindruck, als hätten die fünf energischen Frauen im Haus das Kommando, und so war es sicher auch in vielen Dingen – doch Familienoberhaupt, Gewissen, Anker und Trostbringer war immer noch der ruhige Gelehrte inmitten seiner Bücher. An ihn wandten sich die geschäftigen, sorgenvollen Frauen in schwierigen Zeiten, und in ihm fanden sie im wahrsten Sinne dieser geheiligten Worte den Ehemann und Vater.
Der Mutter vertrauten die Mädchen ihr Herz an – dem Vater ihre Seele; und beiden Eltern, die so treu für sie lebten und arbeiteten, schenkten sie eine Liebe, die mit ihnen wuchs und sie durch das zärtlichste Band mit ihnen verknüpfte, das dem Leben zum Segen gereicht und den Tod überdauert.«
Louisa May Alcott, Little Women, Teil II, Kapitel 1
Im Dienst der Familie und der Gesellschaft
Ihre übrigen Werke waren beliebt, kamen aber nicht an den Erfolg von Little Women heran. Dennoch ging ein Herzenswunsch von Louisa May Alcott in Erfüllung: Sie konnte dank ihres Talents sich selbst und ihre Familie von den finanziellen Sorgen befreien. Nur unterbrochen von einer Europareise im Jahr 1870 und einigen kurzen Aufenthalten in New York lebte sie weiterhin in Boston und Concord. Sie blieb unverheiratet und adoptierte die Tochter ihrer verstorbenen Schwester May. Nach dem Tod der Mutter übernahm sie deren Rolle in der Familie und kümmerte sich um den Vater. Außerdem setzte sich die Autorin aktiv für Frauenrechte und die Abschaffung der Sklaverei ein.
Ihre Energie und ihr Durchhaltevermögen erstaunen angesichts ihrer heftig angeschlagenen Gesundheit. Unmittelbar nachdem sie ihren Vater am Totenbett besucht hatte, verlor Louisa May Alcott vermutlich aufgrund eines Schlaganfalls das Bewusstsein und starb zwei Tage nach ihm am 6. März 1888.