Theodor Fontane – vom Apotheker zum spätberufenen Romancier

»Das ist ein weites Feld« – wer hat diesen Satz noch nicht zitiert? Die Feststellung des alten Briest aus Theodor Fontanes (1819–1898) Roman Effi Briest ist längst fest in unserer Sprache verankert und sein Autor nicht mehr aus dem Literaturkanon wegzudenken. Nicht wenige erinnern sich an Fontane-Balladen, die sie in der Schule auswendig lernten, oder wanderten auf seinen Spuren durch die Mark Brandenburg. Andere wiederum haben seine Werke als Verfilmungen gesehen oder als Hörspiel genossen. Deutsche Literatur mag ein weites Feld sein, aber feststeht: Fontane zählt auf diesem Feld zu den bekanntesten und beliebtesten.


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Lebensweg mit Brüchen

Theodor Fontane stammte aus eingewanderten hugenottischen Familien, sein Vater war spielsüchtig, er selbst brach das Gymnasium ab und wurde in Frankreich als (vermeintlicher) Spion festgesetzt. Nach einem gutbürgerlichen und eintönigen Dasein klingen diese Details aus dem Leben des Dichters nicht. Er war Apotheker, politischer Journalist, Kriegsberichterstatter, Theaterkritiker und Reiseschriftsteller. In die Literaturgeschichte ging er aber vor allem als einer der größten Romanciers Deutschlands ein. Erst mit fast 60 Jahren veröffentlichte er seinen Debütroman.

Fontane, der große Realist

Ist von Vertreterinnen und Vertretern des Realismus oder poetischen Realismus die Rede, fällt unweigerlich der Name Theodor Fontane. Mit distanzierter Erzählweise, psychologischer Tiefe und subtiler Ironie zeichnete er die Gesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Durch die präzise Darstellung des Alltags seiner Figuren und die kunstfertigen Dialoge treten ihre inneren und äußeren Konflikte in einer Welt zutage, die sich im Umbruch befindet.


Theodor Fontane, der Apotheker

Am 30. Dezember 1819 kam Henri Théodore Fontane als Sohn des Apothekers Louis Henri Fontane und dessen Frau Emilie, geborene Labry, in Neuruppin, Brandenburg, zur Welt. Als der Vater durch seine Spielsucht zu viele Schulden angehäuft hatte, versuchte die Familie einen Neustart in Swinemünde. Das Gymnasium in Neuruppin verließ Fontane vorzeitig, ebenso eine Berliner Gewerbeschule. Schließlich trat er in die väterlichen Fußstapfen und begann 1840 eine Apothekerlehre. Er erhielt 1847 die Approbation zum »Apotheker erster Klasse« und begann in Berlin als solcher zu arbeiten. Lang sollte er es nicht aushalten.

Schreiben als Berufung

Während seines Militärdienstes in der preußischen Hauptstadt kam Fontane mit der literarischen Gesellschaft »Tunnel über der Spree« in Kontakt. Er veröffentlichte erste Gedichte und Artikel vor allem politischen Inhalts. Obwohl noch nicht als Autor etabliert, beschloss er schon 1849, die Welt der Pharmazie zu verlassen und sich dem Schreiben zu widmen. Ein Jahr später heiratete er Emilie Rouanet. In schneller Folge stellten sich sieben Kinder ein, von denen drei im Säuglingsalter starben. Die Familie wollte ernährt werden, weshalb er eine Anstellung bei der preußischen »Centralstelle für Preßangelegenheiten« annahm.

Für mehrere Jahre ging Theodor Fontane als Korrespondent nach England. Seine Eindrücke konnte das Publikum außer in Zeitungsberichten in den Werken Aus England und Jenseits des Tweed nachlesen. Zurück in Berlin veröffentlichte er den ersten Band seiner Reisebeschreibungen Wanderungen durch die Mark Brandenburg. 1870 wurde er Theaterkritiker bei der liberalen Vossischen Zeitung, gleichzeitig gab er die Mitarbeit an der konservativen Kreuzzeitung auf. 1864, 1866 und 1870/71 war er als Kriegsberichterstatter im Einsatz, was ihm in Frankreich kurzzeitig eine Verhaftung als vermeintlicher Spion einbrachte. 1889 gelang ihm endlich der Sprung ins freie Autorenleben.


»Ich fange erst an …« – Fontane als Romancier

Kurz vor seinem 60. Geburtstag wagte sich der bisherige Journalist und Reiseschriftsteller auf neues Terrain, mit Vor dem Sturm publizierte er 1878 seinen ersten Roman. Er wandte sich damit dem Genre des historischen Romans zu. Schon bald nahm er aber die aktuelle Gesellschaft ins Visier und schrieb mit L‘Adultera den ersten seiner Berlin-Romane. Mit 59 Jahren war Fontane erneut aufgebrochen.

John Maynard und die Brücke am Tay

Die Entstehung von Fontanes großen Balladen fiel in die 1880er Jahre. Bis heute gehören sie zu den Schulbuchklassikern. Generationen lernten Verse wie »Die ›Schwalbe‹ fliegt über den Erie-See« aus John Maynard (1886) oder »Tand, Tand / Ist das Gebilde von Menschenhand!« aus Die Brück am Tay (1880) auswendig.

Beide Gedichte bringen Theodor Fontanes Skepsis gegenüber ungebremster Fortschritts- und Technikgläubigkeit zum Ausdruck und greifen auf reale Ereignisse zurück. Die Brück am Tay handelt vom Einsturz der schottischen Eisenbahnbrücke Firth-of-Tay, die als technische Meisterleistung galt. Während eines Sturms brachen am 28. Dezember 1879 Teile der Brücke zusammen und rissen den Schnellzug von Edinburgh nach Dundee mit sich. Wohl 75 Menschen kamen ums Leben.

John Maynard geht zurück auf ein Schiffsunglück vom 10. August 1841. Der Raddampfer »Erie« war auf der Fahrt von Buffalo nach Erie in Pennsylvania in Brand geraten. Von den rund 200 bis 300 Menschen an Bord konnten – anders als in der Ballade – nur wenige gerettet werden. Der diensthabende Steuermann Luther Fuller, der bei Fontane zu John Maynard wird, hielt bis zum Ende aus, überlebte das Unglück aber wohl nicht. Das Grab, das Fontane beschreibt, gibt es nicht, doch in Buffalo wurde 1997 eine Gedenktafel angebracht. Sie erinnert mit der englischen Übersetzung des Fontane-Gedichts an das Unglück. Die letzte Strophe ist dort zudem in deutscher Sprache zu lesen.

John Maynard!

»Wer ist John Maynard?«

»John Maynard war unser Steuermann,

aushielt er, bis er das Ufer gewann,

er hat uns gerettet, er trägt die Kron,

er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

John Maynard.


Anthologien


Ein Ende mit Meisterwerken

Als der Dichter 1892 schwer erkrankte und infolgedessen eine heftige Depression entwickelte, begann er auf ärztlichen Rat hin, seine Biografie niederzuschreiben. Die Beschäftigung mir seiner Kindheit und Jugend mündete in den Roman Meine Kinderjahre und in die ebenfalls autobiografische Schrift - Von Zwanzig bis Dreißig. Die Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit hatte offenbar therapeutischen Erfolg, Fontane erholte sich und stellte Effi Briest fertig. Ab 1895 machte er sich an die Abfassung seines letzten Romans, des Stechlin. Am 20. September, wenige Wochen nach Abschluss der Korrektur für die Buchveröffentlichung, starb Theodor Fontane in seiner Berliner Wohnung.

Literaturverfilmungen von Effi Briest

  • Der Schritt vom Wege (1939, Regie: Gustaf Gründgens, mit Marianne Hoppe)
  • Rosen im Herbst (1955, Regie: Rudolf Jugert, mit Ruth Leuwerik, Bernhard Wicki)
  • Effi Briest (1970, Regie: Wolfgang Luderer, mit Angelica Domröse)
  • Fontane Effi Briest (1974, Regie: Rainer Werner Fassbinder, mit Hanna Schygulla)
  • Effi Briest (2009, Regie: Hermine Huntgeburth, mit Julia Jentsch, Sebastian Koch)