Haiku – Ein kleines Gedicht mit großer Wirkung

Als wohl kürzeste Gedichtform der Welt ist das klassische japanische Haiku bekannt: In schlichter und zugleich kunstvoller und anspielungsreicher Sprache fängt es die Schönheit des Augenblicks in knappster Form ein. Dabei eröffnet das Haiku der eigenen Assoziation weite Räume – ein
Grund für die ungebrochene Popularität dieser einzigartigen Dichtkunst.


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Worum geht es im Haiku?

Die Besonderheit des Haiku liegt in seiner Fähigkeit, mit wenigen Worten eine starke Wirkung zu erzielen. Traditionell besteht es aus drei Zeilen mit 5 7 5 sogenannten Moren. Dabei handelt es sich um metrische Einheiten, die einem kurzen Sprechakt im Japanischen entsprechen. Japanische Moren sind nicht unseren Silben gleichzusetzen, werden aber häufig so wiedergegeben, also mit 5
Silben für 5 Moren. Das Haiku fängt flüchtige Momente ein, häufig inspiriert von der Natur, und vermittelt eine prägnante Stimmung oder ein Gefühl, nur angedeutet durch ein Jahreszeitenwort, in dem die tiefere Bedeutung mitschwingt, ohne dass sie ausgesprochen wird.

Oft thematisiert es die Vergänglichkeit des Lebens oder jahreszeitliche Veränderungen, wodurch eine meditative und nachdenkliche Atmosphäre entsteht. Eigenständig entwickelt hat sich das Haiku aus dem ursprünglich scherzhaften Anfangsvers der klassischen Kettendichtung (Renga). Später auch 
beeinflusst vom Zen-Buddhismus, brachte diese lyrische Form im Laufe der Zeit eine lebendige Vielfalt hervor. Das Haiku beschränkt sich heute nicht mehr nur auf naturverbundene Themen, sondern
umfasst auch Bereiche wie Freude, Trauer, Liebe oder gesellschaftliche Fragen.

Die bekanntesten Vertreter des Haiku

Die bekanntesten Vertreter des Haiku sind in erster Linie japanische Dichter, die diese Kunstform geprägt und weltweit bekannt gemacht haben. Zu den bekanntesten zählen:

  1. Matsuo Bashō (1644–1694): Der wohl berühmteste Haiku-Dichter Japans, bekannt für seine tiefgründigen und oft naturverbundenen Gedichte.
  2. Yosa Buson (1716–1784): Ein Haiku-Meister, der sowohl als Dichter als auch als Maler bekannt wurde.
  3. Kobayashi Issa (1763–1828): Bekannt für seine humorvollen und oft bewegenden Haikus, die das Leben der einfachen Menschen thematisieren.

Zu größerer Bekanntheit im Westen gelangte die Haiku-Dichtung durch die
amerikanischen Beat-Poets wie Jack Kerouac und Allen Ginsberg, die sich für den
japanischen Zen-Buddhismus begeisterten und auch mit der lyrischen Form des
Haiku experimentierten. Anhänger des Haiku finden sich mittlerweile weltweit.  Auch deutsche Dichter wie Rainer Maria Rilke, Christian Morgenstern, Bertold Brecht und Günter Eich griffen bereits die Haiku-Form auf, um emotionale oder gesellschaftliche Themen in wenigen prägnanten Worten auszudrücken.


Um Haiku zu schreiben,
werde ein drei Fuß großes Kind.

So sagt Bashō, der wohl bedeutendste Haiku-Dichter Japans.

Das Buch der klassischen Haiku umfasst den Jahreszeiten folgend, die Themenkreise Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Mit nahezu 1.000 Haiku von Bashō sowie seinen Vorgängern, Schülern und Nachfolgern vereint die Anthologie Werke der bedeutendsten Dichter Japans.


Klassisches Haiku vs. modernes Haiku

Das Haiku ist nach wie vor eine faszinierende und beliebte Gedichtform. Während das klassische Haiku durch strenge Regeln und oft naturverbundene, meditative Themen geprägt ist, bietet das moderne Haiku mehr Freiraum für kreative Gestaltung. Es kann alltägliche Erlebnisse, gesellschaftliche Themen oder persönliche Reflexionen aufgreifen. 

Trotz dieser Unterschiede bleibt der Kern des Haikus unverändert: In wenigen Worten eine tiefgehende Stimmung zu vermitteln und Raum für eigene Gedanken und Assoziationen zu lassen. Dabei teilt das moderne Haiku genau wie das klassische die Grundstruktur von drei Zeilen mit 5 - 7 - 5 Moren, die man im Deutschen als Silben wiedergeben kann (aber nicht muss).

Beispiele bekannter Haiku

Der alte Teich!
Ein Frosch springt rein
das Wasser gluckst

Matsuo Bashō (1644–1694)


Schwebt da eine abgefallene
Blüte an den Ast zurück?
… Ah, ein Schmetterling!

Arakida Moritake (1473–1549)


Ah, die Abendkühle –
welch eine Wohltat
dass ich als Mann zur Welt kam!

Enomoto Kikaku (1661–1707)


Am Brunnenrand
der Kirschbaum voll erblüht –
Gefahr! Weinseligkeit!

Shūshikijo (1669–1725)


Selbst kreativ werden

Das Haiku zeigt: Selbst in der kleinsten Form kann große Poesie stecken. Schreiben Sie los und fangen Sie Ihre ganz persönlichen Augenblicke ein!

  1. Beobachten Sie einen kleinen Moment oder eine Szene aus Ihrem Alltag.
  2. Fassen Sie Ihre Gedanken in drei Zeilen mit 5-7-5 Silben.
  3. Lassen Sie Raum für Interpretationen und Emotionen.

Ein Beispiel:

Morgenkaffee –
der Dampf steigt langsam auf wie
Träume in der Nacht.